Da fehlen einem die Worte...
... aber das ging im ersten Moment nur uns so, denn Nina kann inzwischen, mit sich selbst im Reinen, über das sprechen, was sie durchstehen musste.
Mit der Gründung der "Lebenslust Akademie Kulmbach" haben wir uns vor allem eines vorgenommen:
Anderen ein offenes Gehör zu schenken, wo sich die meisten Menschen schamhaft, hilflos, oder gar ignorant abwenden. Da das so gut ankam und viele den Mut aufbrachten, ehrlich mit sich auch vor andere zu treten, gründeten wir unsere Selbsthilfegruppe "No Regrets - Lass uns reden" und trafen so unter anderem auf Nina. Gemeinsam mit ihr und anderen Teilnehmern der Gruppe, stehen wir dafür ein über vermeintliche Tabu-Themen wie Depression sprechen zu dürfen, ohne dabei verurteilt zu werden. Doch ihre Geschichte ließ uns den Atem stocken.
Wir lernten die lebensfrohe, junge Frau aufgeschlossen und mit einem Lachen im Gesicht kennen. Bereits in der Vorstellungsrunde nahm sie jedoch kein Blatt vor den Mund und berichtete, welch schwere Zeiten sie zu meistern hatte. Seither ist viel Zeit vergangen. Regelmäßig setzt sie sich mit sich selbst auseinander, versteht was vorgekommen ist und nimmt dies an. Wir dürfen diesen Bericht verfassen, da sie den Mut und den Willen aufbringt, anderen mit ihrem Beispiel eine Stütze zu sein. Vielleicht finden sich betroffene Frauen in ihren Worten wieder und schöpfen Hoffnung.
“Ich habe versucht mir das Leben zu nehmen - beinahe erfolgreich.”
Was war geschehen? Wie konnte das Schlimmste verhindert werden? Während unseres letzten Treffens mit der Selbsthilfegruppe lachten wir viel und tauschten uns untereinander aus, was in den letzten Wochen vorgefallen war. Doch dann wurde es zunehmend ernster, denn wir holten uns Ninas Einverständnis für diesen Bericht ein und rückten mit Zettel und Stift an. Inzwischen kannten wir ihre Geschichte, wollten diese aber vertiefen, um unsere Aufklärungsarbeit voranzubringen. Und das geschah nicht über Nacht! Nina fällte bewusst eine Entscheidung und sprach auch in der Arbeit mit ihrer Vorgesetzten über dieses Vorhaben. Wie würden andere darauf reagieren? Bekäme sie ärger? Würde man sie fortan als minderwertigen Menschen wahrnehmen? Das sind alltägliche Fragen vieler Betroffener, denn noch immer werden Themen wie die eigene Depression unter vorgehaltener Hand - wenn überhaupt - besprochen. Schadet es der Karriere? Was werden andere denken?
Das Feedback war umwerfend und ihr wurde sogar der Rücken gestärkt. Schließlich kannte man längst die engagierte Mitarbeiterin, weiß ihre Leistungen längst zu schätzen. Auch sprach Nina mit ihrem Mann darüber. Schließlich würde das auch unter seinem Kollegium zum Thema werden können. Zum Glück bestärkte er seiner Frau schon immer den Rücken und weiß inzwischen selbst mit dem Thema umzugehen und sicherte ihr seine Befürwortung zu. Unserer Mission stand nun nichts mehr im Wege und wir lauschten Ninas Worten. Dies ist der Bericht einer inzwischen an sich selbst gewachsenen Frau und Mutter, die es schafft souverän im Leben zu stehen und längst ihre Freude zurückgewann und gegen den Schatten ihrer Vergangenheit den Kampf angesagt hat!
Nina - Mutter aus Leidenschaft
Wie viele von uns hat auch Nina mit ihrer Vergangenheit zu kämpfen. Wir sind nicht wer wir waren, wir sind, wer wir beschließen zu sein. Trotz einer nicht immer rosigen Kindheit hatte sie den Wunsch Mutter zu werden. Gemeinsam mit ihrem Mann bekam sie eine gesunde Tochter und war - unglücklich. Wie kann sich eine frisch gebackene Mutter das Leben nehmen wollen? “Aus Hilflosigkeit. Diese Gedanken sind normal, das weiß ich inzwischen. Doch damals hatte ich das Gefühl alleine zu sein und meinem Mann nicht trauen zu können.
Er MUSSTE ja sozusagen zu mir stehen”, berichtete uns Nina. Was war geschehen? Der Kinderwunsch war stark und so geschah das Wunder. Ein Mädchen wurde geboren und - und was? Alle waren glücklich? Leider nein. Nina war frustriert, hilflos, fühlte sich alleine und war verzweifelt. Ihr Baby schrie ununterbrochen und von außenstehenden Freunden und Verwanden kamen nur hole Phrasen und die typischen Sprüche. Doch für Nina stand fest, sie ist nicht gut genug, um sich um ihr eigenes Kind zu kümmern. Sie hatte versagt, wieder einmal. Ein Trauma aus ihrer Kindheit manifestierte diesen Gedanken. Doch sie blieb standhaft, wusste von der Wochenbettdepression und nahm die bekannten drei Monate als Ziel Gerade für sich her. Sie nahm immer wieder die Gelegenheit war, um mit ihrer Hebamme über ihre Probleme zu sprechen. Ihr kleiner Engel schrie teilweise 12 Stunden am Stück. Damals wusste Nina noch nicht, dass dies ein Verhalten von Säuglingen ist, welches man als "Überreizungsproblem" kennt, anders als Dreimonatskoliken. Die kleinen Würmchen können das auf sie einprasselnde nicht verarbeiten und wissen sich nicht anders mitzuteilen und zu helfen, als krampfhaft zu weinen.
Doch es wurde auch nach drei Monaten nicht besser und Nina gab ihre Hoffnungen auf. Die negativen Leitsätze, welche die junge Mutter begleiteten, waren die einzigen Gedanken, welche sich in ihrem Kopf manifestieren und zurückblieben.
Sie sah ihren einzigen Ausweg in ihrem Selbstmordversuch.
Warum dieser Entschluss? "Ich konnte es nicht mehr ertragen, dass jeder scheinbar als Mutter besser war als ich.“
So nahm die Katastrophe ihren Lauf. Als ihr Mann eines Tages von der Arbeit nach Hause kam, zog sich Nina zurück. In der Werkstatt knüpfte sie sich einen Strick und hängte sich einfach auf. Während die junge Frau das Bewusstsein verlor, ging ihr nur ein einziger Gedanke durch den Kopf. Erleichterung.
Ein ungutes Gefühl ließ ihren Mann nach ihr suchen. Mit Ninas Schwiegermutter teilte er sich auf, ging ihre bekannten Wege ab, die die Todgeweihte oft entlang lief, um beim Spazierengehen abschalten zu können. Als Ninas Schwiegermutter sie in der Werkstatt fand und ihren Sohn verständigte, rannte dieser sofort zu ihr und hob Nina an ihrem Strick an und hielt sie somit am Leben, bis ihr Mann kam. Das Schlimmste konnte verhindert werden, doch wer glaubt, dass die Rettung unmittelbar mit den widerbelebenden Maßnahmen begann, der irrt. Weitere, schwere Monate überschatteten Ninas Leben. Noch immer missverstanden, im BKH schlecht behandelt und mittels Erpressung, ihre Tochter wieder zu sehen zur Medikamenteneinnahme gezwungen, ohne seelische Unterstützung zu erfahren, setzte man ihr und ihrer Familie schwer zu.
Es war ein ungeheuer langer Weg, den sie schließlich beschloss zu gehen, um zu heilen. Nina festigte ihre positiven Gedanken und verschlang etliche Bücher, die ihr dabei halfen. Unter anderem war es "Das gewünschteste Wunschkind", ein Buch, das ihr zu einem besseren Verständnis für ihre Situation verhalf. Man kann sich nicht ausmalen, wie viel unerträgliches Leid sie auf ihren Schultern trug. Dass sie heute dort steht, wo sich sich derzeit befindet, ist eine absolut hervorragende Leistung und verdient mehr, als nur unseren tiefsten Respekt. Wann immer wir mit Nina darüber sprechen, schneiden auch wir uns eine Scheibe von ihrem eisernen Willen und ihrer Standhaftigkeit ab.
Wie hätte man das alles verhindern können?
Wir wollten von Nina wissen, was hätte geschehen müssen, um es erst gar nicht so weit kommen zu lassen. Doch sie erklärte uns, dass es rein nichts gegeben hätte, was sie davon rückblickend hätte abbringen können. "Wenn ich damals gewusst hätte, dass es in Ordnung ist, dass man auch einmal sauer sein darf, auch auf das eigene Kind, wäre es vielleicht etwas anders verlaufen.
Doch im Prinzip hätte kein Wort eines Außenstehenden mich dazu bewegen können, von meinem Gedanken abzulassen." Ihre Antwort auf unsere nächste Frage, überraschte uns ebenso. Wir wollten wissen, ob sie mit ihrem heutigen Wissenstand rückblickend etwas anders gemacht hätte in ihrem Leben. "Tatsächlich nicht mehr, denn sonst wäre ich immer noch innerlich so kaputt und hätte mich niemals so intensiv mit mir selbst befasst. Das war und ist meine Heilung."
"ICH HABE NOCH NIE EINE STARKE PERSON MIT EINER EINFACHEN VERGANGENHEIT KENNENGELERNT."
Inzwischen versteht die Kämpferin, dass egal wie schlimm man denkt, dass es einem geht, man immer dazulernen und auch nachlesen kann, dass es sehr wohl geht. Aus diesem Grund heraus durften wir dieses Interview mit ihr für die Öffentlichkeit führen. Was sie und ihre Familie schmerzhaft und aus eigener Kraft lernen musste, möchte sie anderen zu einem kleinen Teil ersparen und sich und ihre dunkelsten Zeiten offenlegen. Und dass diese nun ein Teil ihres Lebens sind, bekundet sie nicht nur durch ihre offenen Worte. Auch ihr Tattoo bezeugt dies für den Rest ihres Lebens. Ein herrliches Motiv, welches sich an ihrem Körper entlangschlängelt und auch teilweise unter den Klamotten hervorspitzt, zeigte sie uns während unseres vergangenen Treffens und berichtete uns freudestrahlend die Geschichte dahinter.
"Ich ging zu meinen Tattoowierer des Vertrauens und ließ mir einen Entwurf machen. Als dieser praktisch schon stand, erzählte ich ihm meine Geschichte und bat ihn darum, Fehler in mein Motiv einzubauen. Eine nicht perfekt wirkende Blüte sollte mich symbolisieren." Jede Rune, jede Blüte, hat eine eigene Bedeutung. Selbst die Stellen an ihrem Körper, an welchen diese sich befinden, sind nicht dem Zufall überlassen. So sieht man unter ihrem Shirt nur hervorspitzen, was auch zu sehen sein soll. Ist es die Unvollkommenheit in ihrem Leben, die sie annimmt und dazugehört? Ist es ihre Tochter, die ihr der wichtigste Mensch in ihrem Leben ist? Nina liebt ihr Kind über alles. Inzwischen geht das kleine, kluge Mädchen zur Schule. Es mangelt ihr an nichts. Immer wieder halten wir uns über die aktuellen Geschehnisse der Familie auf dem Laufenden und spüren die Herzlichkeit, Fürsorge, Förderung, Lernprozesse und erfahren, wie glücklich die junge Familie trotz gängiger Alltagshürden harmoniert, da sie sich immer wieder reflektieren und bewusst miteinander beschäftigen und auch auseinandersetzen. Daher war eine abschließende Frage für uns mindestens ebenso wichtig, wie all die Fragen zuvor ...
Wird ihre Tochter je von der schweren Vergangenheit ihrer Mutter erfahren?
In unserer Frage klang Sorge, Anspannung und eine gehörige Portion Neugierde mit. Ab wann ist die Geschichte der Familie für die eigene Tochter altersgerecht zu verpacken? Fand ein Gespräch in dieser Richtung bereits statt, oder würde die junge Mutter ein gewisses Alter ihrer Tochter abwarten wollen? Die Antwort überraschte uns sehr! Es fanden bereits kindgerechte Erklärungen statt, doch irgendwann, wenn die Zeit und ein gewisses Alter gekommen sind, wird Ninas Tochter die ganze Geschichte aus Sicht einer liebenden Mutter erfahren. Offen, ehrlich, nachvollziehbar und sicher unter vielen Tränen. Doch warum hatte Nina sich schon im Kindesalter ihrer Tochter dazu entschieden?
Es ist nicht so, dass Nina knallharte Fakten auf den Tisch legt, wann immer diese schwere Zeit in den Vordergrund rückt. Viel mehr lebt sie ein offenes, ehrliches Verhältnis mit ihrem Kind und ist der festen Überzeugung, dass es in keinem Alter angemessen ist, eine Scheinwelt vorzuleben, die irgendwann mit Pauken und Trompeten zerfällt, sobald Tatsachen auf den Tisch kommen. Sie berichtet uns von der Neugierde ihrer Tochter. Dem Alter angemessen beantwortet sie die Fragen geduldig und nannte uns einen weiteren Grund für ihren Entschluss. "Ich stoße natürlich immer wieder an meine Grenzen.
Einmal machte sie mir vorwürfe, sie wollte ein neues Spielzeug und unterstellte mir, dass ihr nicht genug gebe. Ein typisches Verhalten vielleicht, wenn sich eine 7-Jährige ein ganz besonderes Spielzeug einbildet, welches sie nicht einfach so bekommen kann. Ich schimpfte, doch setze mich sofort in Ruhe mit ihr zusammen. Ich erzählte ihr, wie es mir als junges Mädchen ging und das ich deshalb alles für sie ermöglichen möchte, doch dass es auch Grenzen gibt. Auch kleine Kinder bringen Verständnis auf, wenn man ihnen Grund und Ursache nennt und begreifen, dass sie nicht alles haben können, oder gar müssen, sich manchmal auch gedulden müssen. Natürlich könnte man es abtun und sagen, warte auf Weihnachten. Doch warum soll meine Tochter nicht verstehen, weshalb ich wie reagiere und dass auch meine Gefühle verletzte werden können? Dafür nehme ich mir gerne die Zeit und ziehe sie so zu einem vernünftigen, emphatischen und ehrlichen Menschen groß, der dankbar und fair sich und anderen Menschen gegenüber in seinem Leben sein kann."